Was es heisst, etwas zu akzeptieren oder eben nicht, lernen wir schon ganz früh in unserem Leben. Die oft unangenehme Erfahrung, etwas gegen den eigenen Willen akzeptieren zu müssen, ist für die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit von grosser Bedeutung. Als Erwachsene können wir unsere Erwartungen mit den durch die Umwelt bestimmten Möglichkeiten in der Regel gut abstimmen, sodass die Akzeptanz im Alltag selten existenziell gefährdet wäre. Wir erleben zwar immer wieder kleine und grössere Dämpfer, lernen den damit verbundenen Frust jedoch abzubauen und uns wieder neue Ziele zu setzen.
Mit der Akzeptanz einer chronischen Krankheit wie dem Morbus Bechterew ist es jedoch nicht ganz so einfach. In den meisten Fällen wird man von spür- und sichtbaren Einschränkungen und Schmerzen begleitet. Oftmals muss man sich über Jahre oder Jahrzehnte mit Fragen zur Behandlung und zu Anpassungen im Alltag auseinandersetzen. Vielleicht hat man auch Selbstzweifel, ein schlechtes Gewissen oder wird von Unsicherheiten gequält. Hat vielleicht der jahrelange Raubbau an meinem Körper dazu beigetragen, dass die Krankheit ausgebrochen ist? Habe ich zu wenig auf meine Gesundheit geschaut?
Hinzu kommt, dass das Gefühl der Scham tief in unserer Kultur verankert ist. Es kommt nicht von ungefähr, dass wir Gewissensbisse haben, wenn wir eine lange im Voraus geplante Verabredung kurzfristig absagen müssen, weil uns der Bechterew am Vorabend einen Strich durch die Rechnung gemacht hat. Als Folge dieses Schamgefühls wünschen wir uns mehr Verständnis durch das Umfeld, was in vielen Fällen sicher ein berechtigter Wunsch ist. Doch ebenso wichtig kann es sein, dass wir die eigenen Gewissensbisse hinterfragen, Scham- und Angstgefühle abbauen und so auch zu einem besseren Verhältnis mit «unserem» Bechterew gelangen.
Der erste Schock
Den ersten «Akzeptanz-Schock» erleben alle Betroffenen zusammen mit dem «Diagnose-Schock», also im Moment der Diagnosestellung. Ihr Arzt hat sie untersucht, verschiedene Abklärungen getroffen und ist dann aufgrund der Resultate, mithilfe seines Wissens und seiner Erfahrung zu einem Schluss gekommen. Dieser teilt er dem Patienten oder der Patientin dann mit. Die Reaktionen darauf können ganz verschieden ausfallen. Es gibt Betroffene, die berichten, von diesem Moment an während vieler Jahre Schwierigkeiten gehabt zu haben, die Tatsache zu akzeptieren, dass sie an einer unheilbaren Krankheit leiden. Andere erzählen, sie hätten in diesem Moment Erleichterung gespürt, weil das Leiden endlich einen Namen hatte, und wenn die moderne Medizin einen Namen für etwas hat, hat sie sicher auch ein Mittel dagegen. Oder nicht? Auf jeden Fall hilft es, die Dinge beim Namen zu nennen.
Für die meisten Betroffenen ist der Schock bei der Diagnose gross. Doch je mehr Informationen über die Krankheit man bekommt, je erfolgreicher die Therapie ist und je mehr Zeit seit der Diagnose verstrichen ist, desto mehr gewöhnt man sich an die neue Tatsache. Rückschläge sind beim Bechterew allerdings nie ausgeschlossen.
Denn die neue Situation ist eigentlich ziemlich paradox: Ein Leiden wird einem aufgezwungen, was verständlicherweise zu einer Abwehrreaktion und damit zu einer geringen Akzeptanz führt. Doch wer die Krankheit nicht akzeptiert, ist in der Regel weniger bereit, den wichtigen eigenen Beitrag in Form von Bewegungstherapie, Medikamenteneinnahme und Lebensstilanpassungen zu leisten. Auch zeigt man sich dann meistens weniger offen für neue und alternative Wege, die zu einem besseren Umgang mit dem Bechterew führen können. Und schliesslich ist auch der allgemeine Stresslevel höher, wenn man etwas Unvermeidliches wie den Morbus Bechterew nicht akzeptieren kann. Und ein erhöhter Stresslevel kann beim Bechterew zu einer erhöhten Krankheitsaktivität führen. Es ist also ein Teufelskreis, aus dem es auszubrechen gilt. Nur wer dem Morbus Bechterew mit all seinen Folgen in die Augen sehen kann, hat auch eine Chance, ihn zu bändigen. Schaut man hingegen konsequent weg, ist es wahrscheinlicher, dass man von der Krankheit immer wieder in die Knie gezwungen wird.
Immer noch wenig Verständnis
Im Kampf vieler Betroffener, den Morbus Bechterew als Teil ihres Lebens zu akzeptieren, hat die moderne Schulmedizin eine schwierige Rolle. Auf der einen Seite hilft sie vielen Betroffenen, das Leben mit dem Bechterew besser zu bewältigen. Neue Erkenntnisse der Forschung und moderne Medikamente wie die Biologika können im Idealfall viel Leid von den Betroffenen nehmen. Auf der anderen Seite ist es genau diese Medizin, die den Betroffenen den Stempel «Krank» aufdrückt. Dadurch werden die Menschen bis zu einem gewissen Grad stigmatisiert und in eine Schublade gesteckt, was eine zusätzliche Belastung darstellen kann. Im Extremfall wird der ganze Mensch «pathologisiert » (von lat. Pathologia: Lehre vom Leiden, Krankheitslehre) und es werden auch andere, mit der Krankheit nicht in Verbindung stehende Verhaltensweisen, Gefühle, Wahrnehmungen oder zwischenmenschliche Beziehungen als krankhaft gedeutet.
So berichten auch heute noch immer wieder Betroffene, dass es Ärzte gibt, die beim Morbus Bechterew auf die Verlegenheitsdiagnose einer psychischen Erkrankung zurückgreifen, wenn sie nicht in der Lage sind, die körperlichen Symptome richtig einzuordnen. Dies war und ist leider vor allem bei Frauen der Fall, da sie zu einem höheren Anteil von der auf dem Röntgenbild nicht sichtbaren Form des Morbus Bechterew betroffen sind.
Trotz aller Errungenschaften und Fortschritte kann die heutige Schulmedizin auch einen relativ unpersönlichen Eindruck auf betroffene Menschen machen. Das Medikament, das man als Bechterew-Betroffener verschrieben bekommt, wurde zehn- oder hunderttausenden anderen Betroffenen auch schon verschrieben. Vielleicht wirkt es, vielleicht auch nicht. Vielleicht wäre es für Betroffene einfacher, die Krankheit zu akzeptieren, wenn es tatsächlich so kommt, wie es von Gesundheitsexperten vorausgesagt wird. Dass nämlich die Medizin personalisiert wird und man zum Beispiel als Bechterew-Betroffener ein individuell zugeschnittenes Medikament bekommt, das anhand der eigenen Gene entwickelt wird. Erste Beispiele solcher Therapien gibt es bereits.
Haben «erfahrene» Patienten weniger Mühe?
Durch die Verbesserung der Lebensqualität und den medizinischen Fortschritt werden die Menschen immer älter. Durch die höhere Lebenserwartung können wir im Alter aber mit verschiedenen Erkrankungen und als Folge mit der sogenannten Multimorbidität, also dem Vorhandensein mehrerer Erkrankungen gleichzeitig, konfrontiert sein. Der Bechterew ist dann nun nur noch eine von mehreren, teilweise altersbedingten Erkrankungen.
Nun könnte man denken: Da sind Menschen mit Morbus Bechterew doch bestens gerüstet, sie konnten bereits ein Leben lang Erfahrungen mit einer chronischen Erkrankung sammeln. Das ist aber nur zum Teil richtig. Angesichts dieses Aufeinandertreffens verschiedener Probleme ist es nicht erstaunlich, wenn es auch bei erfahrenen Patienten zu einer Überforderung kommt. Neben der engen medizinischen Betreuung kommt es dann auch auf die persönliche Haltung jeder einzelnen Person an. Die Herausforderungen des Alters bei Bechterew-Betroffenen lassen sich mit einer positiven Einstellung in der Regel besser meistern als mit einer negativen. Wobei dies keinesfalls im Sinne eines plumpen Schulterklopfens zu verstehen ist.
«Akzeptieren» heisst nicht «aufgeben»
Doch was bringen all diese Informationen den Betroffenen? Den Bechterew werden sie ja nicht mehr los und der Alterungsprozess lässt sich auch nicht aufhalten. Und damit sind wir wieder bei der Akzeptanz angekommen. Alle Zeichen deuten darauf hin, dass sich sowohl die Herausforderungen des Bechterew wie auch diejenigen des Älterwerdens und erst recht der Mix von beidem besser meistern lassen, wenn man gelernt hat, zu akzeptieren, statt mit dem Kopf durch die Wand zu gehen. Dabei ist es wichtig, sich in Erinnerung zu rufen, dass «akzeptieren» nicht «aufgeben» heisst. Denn genau hier scheitern viele, weil sie Angst haben, den Kampf gegen den Bechterew zu verlieren. Doch die Akzeptanz ist vielmehr eine Voraussetzung dafür, um diesen Kampf erst aufnehmen zu können.
Für die Steigerung der Akzeptanz gibt es keinen einzigen, richtigen Weg. Für manche reicht es schon, sich einmal gründlich Gedanken darüber zu machen, und dann in Eigenregie die nötigen Anpassungen im eigenen Denken und Leben vorzunehmen. Für andere funktioniert es besser, wenn sie dies begleitet von einer Fachperson oder in einer Gruppe tun. Inzwischen gibt es verschiedene Methoden und Ansätze, die bei diesem Prozess helfen können. Besonders hervorzuheben ist die sogenannte «PRISM»-Methode, die vom Zürcher Psychiater Prof. Dr. med. Stefan Büchi entwickelt wurde. Sie wird heute in vielen Bereichen eingesetzt, um ein Problem zu benennen und genau unter die Lupe zu nehmen. Die «PRISM»-Methode wird auch im Rahmen der SVMB-Therapiegruppen eingesetzt. Mit diesem Werkzeug können die therapieleitenden Physiotherapeutinnen und -therapeuten die Betroffenen in den individuellen Coachinggesprächen begleiten.
Bewegungstherapie und körperliches Training sind heute feste und unbestrittene Bestandteile des therapeutischen Settings für Menschen mit Morbus Bechterew. Vor dem Hintergrund der Erkenntnisse über die Akzeptanz und das Älterwerden mit dem Bechterew sollte in Zukunft also auch das Trainieren von Akzeptanz weit oben auf der Prioritätenliste der Betroffenen stehen.
Überarbeiteter Artikel aus der Zeitschrift «vertical» Nr. 82.