«Der Bechterew treibt mich an»

Cynthia Plüss (36) aus Glattfelden ZH spürte bereits während der Kindheit typische Bechterew-Symptome. Die Gruppentherapie und Reisen helfen ihr, die Schmerzen zu bewältigen.

18. Mai 2021
Cynthia Plüss (36)

«Im Alter von sechs Wochen wurde ich in Sri Lanka adoptiert. Meine leibliche Familie habe ich nie kennengelernt, was mich nicht stört. Denn meine Eltern haben bei der Erziehung von mir und ihrer biologischen Tochter alles richtig gemacht. Uns fehlte es an nichts, nur die ständigen Schmerzen trübten meine Kindheit. Von klein auf hatte ich regelmässig Probleme mit den Kniegelenken und der Halswirbelsäule, manchmal schmerzten auch die Beine. Vor zehn Jahren wollte ich endlich Klarheit und liess mich gezielt untersuchen. Mein Leiden hatte nun einen Namen, denn nach zwei Röntgenbildern war der Morbus Bechterew klar erkennbar. Ich arbeitete damals in der Sportmedizin, weshalb ich schon viel über die Krankheit wusste. Im Nachhinein sehe ich das als Vorteil, weil mir langes Recherchieren erspart blieb. Dennoch brauchte ich Zeit, um die Diagnose zu verkraften.

«Du bist, wie du bist»

Gerade in den ersten Monaten verfiel ich oft in Selbstmitleid. Mittlerweile habe ich gelernt, mit dem Bechterew umzugehen. Durch die Adoption und wegen meiner Hautfarbe sagten mir meine Eltern stets: «Du bist, wie du bist.» Dieses Motto hilft mir, weil ich auch den Bechterew nicht ändern kann. So nehme ich die Schmerzen hin. Speziell ist, dass sie bei mir nicht immer an der gleichen Stelle auftreten. Am einen Tag habe ich ein Leiden in der oberen Wirbelsäule, und am nächsten spüre ich den Bechterew in den Daumengelenken. Oft schmerzt die Achillessehne oder dann wieder das Knie. Erschwerend kommt hinzu, dass ich gegen fast alle Medikamente allergisch bin. Nach einer TNF-Alpha- Therapie landete ich sogar einmal auf der Intensivstation. Zum Glück helfen mir Interleukin-Hemmer, die ich unter starker Überwachung einnehmen kann. Mit diesen fühle ich mich wohler, die Schmerzen wirken weniger intensiv. Durch meine Allergien setze ich vermehrt auf Mittel ausserhalb der Medizin. Ich habe festgestellt, dass mir warme, trockene Luft besonders guttut. Auch Ablenkung kann helfen, die Leiden zu verdrängen. In meiner Freizeit gehe ich an jedes Heimspiel des EHC Kloten, wo die Beschwerden schnell in den Hintergrund treten. Mein eigentliches Geheimmittel ist aber das Reisen. Mein Vater arbeitete bei der Swissair und zeigte uns schon als Babys die ganze Welt. Mittlerweile war ich schon auf allen Kontinenten und verbringe möglichst viel meiner Freizeit im Ausland. Manchmal liebäugle ich sogar mit dem Gedanken, einmal auszuwandern. Für meinen Körper wäre es ideal, wenn ich in wärmere Gebiete ziehen würde.

Geteiltes Leid, halbes Leid

In meinem Alltag habe ich bewusst keine festen Übungsroutinen eingebaut, sondern setze mir jede Woche bestimmte Bewegungsziele. Anfangs dachte ich, dass Fitnesscenter und Unihockey für meinen Bewegungsapparat ausreichen. So war ich zuerst skeptisch, als ich von den Bechterew- Bewegungsgruppen hörte. Ich war jedoch neugierig und stellte fest, dass sich in Kloten eine Gruppe trifft. Ich meldete mich an und wurde wärmstens empfangen. Viele der individuellen Probleme entpuppten sich im Austausch als Sorgen der meisten Teilnehmer. Zu den positiven Aspekten des Bechterews gehört definitiv, dass ich ohne die Krankheit die anderen Teilnehmer nie kennengelernt hätte. Unser Zusammenhalt ist so stark, dass ich die Gruppe während des Lockdowns richtig vermisste. Heute gehört der Bechterew zu mir und ist Teil meiner Persönlichkeit geworden. Mit ihm fühle ich mich zäh und gebe auch bei heftigeren Schmerzen nicht so leicht auf. Er treibt mich immer dazu an, mir selbst etwas zu beweisen und meine persönlichen Grenzen auszutesten. Selbst an schlechten Tagen kommt es für mich nicht infrage, zu Hause zu bleiben. So habe ich bei der Arbeit noch nie aufgrund der Bechterew- Beschwerden gefehlt. Der Bechterew lehrte mich, mit den körperlichen Schwächen und den Schmerzen umzugehen, und machte mich so zur Kämpferin, die ich heute bin.»

Dieser Artikel ist zuerst in der Zeitschrift «vertical» Nr. 88 erschienen.